Ob man den Kapitalismus nun mag oder nicht, es ist besser, man versteht ihn. Und am besten lernt man schon in der Schule, wie er funktioniert.
Weite Teile der Bevölkerung verfügen über nur geringe ökonomische Kenntnisse. Das zeigt eine von der ZEIT in Auftrag gegebene Studie. Wenigstens aus zwei Gründen ist dieses Kompetenzdefizit besorgniserregend: Erstens leitet sich daraus ein mangelndes Verständnis über das aktuelle Wirtschaftssystem ab, das ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft ist – ob man den Kapitalismus nun mag oder nicht. Zweitens kann ökonomisches Wissen sehr nützlich sein, um das eigene Leben selbst bestimmt zu gestalten und zu bewältigen. Zum Beispiel wenn man in der Lage ist, zwischen Fixkosten und variablen Kosten zu unterscheiden. Wenn man Kreditkosten kalkulieren und Netto- von Bruttoeinkommen unterschieden kann. Oder wenn man sich um die eigene Altersvorsorge kümmern möchte.
Die Frage, ob es eines eigenständigen Schulfachs Wirtschaft an allgemeinbildenden Schulen bedarf, ist nicht nur hypothetischer Natur. Eine Diskussion darüber ist bereits in vollem Gange. Und erste Umsetzungen gibt es auch: In Baden-Württemberg wird ein solches Fach seit dem Schuljahr 2016/17 unterrichtet. In Nordrhein-Westfalen ist es wichtiger Bestandteil des Koalitionsvertrages und soll in der aktuellen Legislaturperiode umgesetzt werden. Sowohl in Verlautbarungen aus dem Stuttgarter Kultusministerium als auch im nordrhein-westfälischen Koalitionsvertrag bemüht man sich um Formulierungen, die den allgemeinbildenden Charakter eines Faches Wirtschaft unterstreichen. Es soll um ökonomische Allgemeinbildung gehen.
Aber was bedeutet eigentlich ökonomische Allgemeinbildung? Welche didaktischen Herausforderungen sind damit verbunden? Und wer soll dies umsetzen? Dazu sieben Überlegungen und Anstöße:
Arbeitnehmer und Konsumenten nicht vergessen
Mindestens ebenso wesentlich sind, zweitens, Dimensionen der Einbettung des Ökonomischen in einen umfassenderen gesellschaftlichen Kontext, gerade auch deshalb, weil breite Teile der Bevölkerung den berechtigten Eindruck haben, die Wirtschaft habe sich von der Gesellschaft entkoppelt und spiele oft genug ihr Spiel zu Lasten anderer. Gleichgültig, ob es sich um die Ursprünge von Marktwirtschaften und der weiteren historischen Entwicklung hin zum Kapitalismus handelt, ob es das Wesen (oder nicht nur die ökonomische Funktion) von Geld betrifft, ob moralische Grundlagen von Ökonomie im Mittelpunkt stehen, Fragen von Arbeit oder einer ökologischen Ökonomie thematisiert werden, die Verwendung einer strikt ökonomischen Methode kommt bei derartigen Fragen sehr schnell an ihre Grenzen.
Ökonomische Allgemeinbildung ist daher im Kern multi- und interdisziplinär zu gestalten und muss zwingend sozial- und kulturwissenschaftliche, historische, ja selbst philosophische Perspektiven beinhalten. Ein Nachdenken über Wirtschaft sollte man nicht nur den Ökonomen und (wenigen) Ökonominnen überlassen.
Drittens, bei der Vermittlung von ökonomischen Inhalten an Schulen gilt es sich davor zu hüten, eine ausschließlich verengte kapitalorientierte und unternehmenszentrierte Sichtweise zu vermitteln. Es wird allzu oft übersehen, dass zu einer modernen Ökonomie die Rolle der sogenannten Arbeitnehmer ebenso dazugehört wie die der Konsumentinnen und Konsumenten. Allein der Begriff Arbeitnehmer spricht ideologische Bände: „Nehmen“ Arbeiter und Angestellte die Arbeit oder „geben“ sie diese?
Themenfelder zur Bedeutung von Arbeit (jenseits der Bedeutung als Produktionsfaktor oder Human Ressource), die vergangenen und zukünftigen Veränderungen der Arbeitswelt gilt es ebenso an zentraler Stelle zu diskutieren wie Fragen des (überflüssigen) Konsums, eine Konsumverantwortung oder der von uns Konsumentinnen und Konsumenten hinterlassene ökologische Fußabdruck zu lasten zukünftiger Generationen. Wachstumskritische Diskussionen können sich hier nahtlos anschließen.
Mit Bezug auf den Unterricht liegen die größten didaktischen Herausforderungen, fünftens, in Unterrichtsformaten, die zweierlei zu leisten haben: Zum einen betrifft dies die Vermittlung von Inhalten und Kompetenzen in allgemeiner Hinsicht. Es geht dabei um Aufklärung im besten Sinne des Wortes und im Kern um ein demokratisches Programm, nämlich: Bürgerbildung, der Bürger als (politischer) Citoyen, nicht nur als (wirtschaftlicher) Bourgeois.
Welche Lehrer eignen sich?
Sechstens: Zum anderen – und eben dies treibt natürlich Lehrerinnen und Lehrer um – stellt sich die Frage nach der Vermittlung derartiger Themen, die nicht nur auf Wissen, sondern auch auf Reflexionskompetenzen abstellen. Hier scheint es besonders geboten, einen lebensweltlichen und handlungsorientierten Zugang in den Lernfeldern zu wählen, der stets die Frage im Blick behält, was und inwiefern die verschiedenen Themen mit dem Leben der Schülerinnen und Schüler zu tun haben. Vom Besonderen über das Allgemeine lernen, also in methodischer Hinsicht induktiv-deduktiv vorzugehen, erscheint gerade bei einem Fach Wirtschaft sehr gut möglich und könnte zudem eine doppelte Funktion erfüllen: Kompetenzvermittlung für die individuelle ökonomische Lebensgestaltung und Vermittlung eines breiten, aufgeklärten Verständnisses von Ökonomie.
Wirtschaft als Schulfach? Schülerinnen und Schüler werden in Bereichen des Sozialen, der Technik, der Religion, der Politik und der Kunst unterrichtet. Es gibt gute Gründe, dieses Spektrum an allgemeinbildenden Schulen auch auf den Bereich Wirtschaft auszuweiten. Die wesentliche Frage ist jedoch, welche Art von Ökonomie dabei vermittelt wird.
Die Vermittlung ökonomischer Inhalte und der Kompetenzerwerb in einem Fach Wirtschaft sollte andere Wege beschreiten, will sie dem Selbstanspruch einer ökonomischen Allgemeinbildung genügen. Sie sollte lebensdienlich in dem Sinne sein, dass sie Menschen bei praktischen Lebensfragen Hilfestellungen leistet. Und sie sollte eine Idee von Ökonomie vermitteln und kritische Perspektiven anregen, die ein Wirtschaften im wahrsten Sinne des Wortes als dem Leben dienend versteht. So kann es gerne Schule machen.
Quelle: ZEIT ONLINE (Gastbeitrag von Thomas Beschorner)