Befristet angestellte Lehrer: Arbeitsamt statt Strand

Trotz Lehrermangels und Unterrichtsausfalls werden tausende Lehrer zu Beginn der Sommerferien arbeitslos. Gerade junge Lehrer sind davon betroffen. Ein fatales Signal.

Sommerferien. Das ist die Zeit, in der viele in den Urlaub fahren, sich vom Stress und den Strapazen des Jahres erholen. Zumindest für ein paar Wochen mal nicht an Arbeit denken, ans Geld verdienen. Für Katarina S.* hingegen ist es die Zeit der Anspannung, der Unsicherheit und der Geldknappheit.

Zum dritten Mal in Folge erlebt die 36-jährige Realschullehrerin aus Baden-Württemberg das jetzt schon. Das erste Mal direkt nach dem Referendariat. Da geht es allen so. Am Ende dieser zwei Jahre, nach dem zweiten Staatsexamen, werden alle entlassen und frühestens zum Beginn des folgenden Schuljahres wieder eingestellt. Etwa 5000 bis 6000 Referendare betrifft das in Baden-Württemberg jedes Jahr.

Hartz IV in den Ferien

Katarina S. hat in dieser Zeit Hartz IV beantragt, weil sie anders nicht über die Runden gekommen wäre. In den letzten beiden Schuljahren hatte sie jeweils nur befristete Verträge, die zum Ende des Schuljahres liefen. Da sie in den letzten Sommerferien noch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I hatte, hat sie die Zeit mit ihren Ersparnissen überbrückt. Dieses Jahr meldet sie sich für die sechs Wochen arbeitslos. „Das heißt, meine Kollegen können Urlaub machen und ich mache Termine auf dem Arbeitsamt“, sagt sie im Gespräch mit tagesschau.de.

Statt am Strand zu liegen, müssen Tausende befristet angestellte Lehrer in den Ferien aufs Arbeitsamt.

Jedes Jahr in den Sommerferien steigt die Zahl arbeitsloser Lehrer sprunghaft an: Im Sommer 2017 haben sich bundesweit 4900 Lehrer arbeitslos gemeldet. Betroffen sind in der Regel angestellte Lehrer mit befristeten Arbeitsverträgen, die beispielsweise als Elternzeitvertretung oder bei längeren Krankheitsausfällen eingestellt werden. Am größten ist das Problem in Baden-Württemberg (1680), gefolgt von Bayern (860) und Niedersachsen (470). Tatsächlich sind aber deutlich mehr der insgesamt etwa 800.000 Lehrer in Deutschland betroffen, denn viele melden sich gar nicht arbeitslos, sondern jobben stattdessen beispielsweise.

Lehrerin: „Das ist demütigend“

Katarina S. findet das demütigend. Sie ist mit Leib und Seele Lehrerin, weiß aber nicht, ob sie diesen Beruf unter diesen Bedingungen weiterführen wird. „Es geht ja nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch um die Beziehungen mit den Schülern. Wenn ich nie weiß, ob ich im nächsten Jahr noch da bin, kann ich mich nicht richtig auf die Schüler einlassen.“ Sie findet die Befristungen an sich problematisch. Beim letzten Mal hat sie zehn Tage vor den Faschingsferien erfahren, dass sie zum Halbjahr an eine andere Schule wechselt.

Vor allem in Baden-Württemberg werden Vertretungslehrer nicht über den Sommer beschäftigt.

Klar ist, dass es eine bestimmte Anzahl befristeter Einsätze an Schulen geben muss, weil für eine Elternzeitvertretung beispielsweise nicht dauerhaft jemand eingestellt werden kann. Andererseits fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg schon seit Jahren, die ständige Lehrerreserve aufzustocken. In diesem Pool von festangestellten Vertretungslehrern gibt es derzeit 1666 Lehrerstellen. Demgegenüber stehen laut GEW ständige Ausfälle von etwa 6500 Lehrern jedes Jahr.

Länder wollen Geld sparen

Dass Baden-Württemberg den restlichen Bedarf mit befristeten Verträgen – meist bis zum Ende des Schuljahres – abdeckt, hat einen einfachen Grund: Das Land spart Millionen. Eine Bezahlung der Lehrer über die Sommerferien hinaus würde Baden-Württemberg 12,5 Millionen Euro kosten, teilt ein Sprecher des Kultusministeriums mit. Dabei zeigt die bundesweite Praxis, dass es auch anders geht: In Rheinland-Pfalz werden ab 2019 alle Vertretungslehrer über die Sommerferien bezahlt werden. In NRW, Hessen oder Sachsen-Anhalt beispielsweise ist Sommerarbeitslosigkeit bei Lehrern kein Thema, wie eine Umfrage der dpa in den Ländern ergeben hat. Und in Bayern gibt es Zwischenlösungen: Wer bis zur vierten Woche nach Schuljahresbeginn eingestellt wird, wird die Sommerferien durchbezahlt. Alle, die später anfangen, gehen leer aus.

In einem reichen Land wie Baden-Württemberg müsste das auch anders gehen, sagt der Bildungsforscher Ewald Terhart von der Universität Münster im Gespräch mit tagesschau.de. Betroffen sind davon vor allem junge Lehrer. „Gerade für Berufsanfänger ist das sehr hart und in Zeiten des immer wiederkehrenden Lehrermangels und Unterrichtsausfalls ist es ein falsches Signal, diese Menschen auf diese Weise in ihrem Beruf zu empfangen.“ Zumal es sich ja lediglich um eine Verschiebung der Kosten handle, wenn viele Betroffenen Hartz IV oder Arbeitslosengeld beantragen müssten. „Der Verwaltungsaufwand steht in keinem Verhältnis“, meint Terhart.

Lehrer als Manövriermasse

Besonders ärgerlich ist die Sommerarbeitslosigkeit, wenn Lehrer im folgenden Schuljahr an der gleichen Schule wieder eingesetzt werden. In vielen Fällen dürfte das auch vorher schon absehbar sein, meint der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger. „Für die Schulverwaltungen ist es einfach die bequemere Lösung, die Leute zu entlassen und dann bei Bedarf neu einzustellen“, sagt er zu tagesschau.de. Die Lehrer würden dabei als Manövriermasse missbraucht.

Insgesamt waren im Jahr 2017 allerdings etwas weniger Lehrer betroffen als in den drei Jahren zuvor. Für dieses Jahr sind noch keine abschließenden Zahlen verfügbar. Der leichte Rückgang dürfte auch mit dem teilweise massiven Lehrermangel zu tun haben. In Grund-, Förder- und Berufsschulen, wo der Mangel an Lehrern am größten ist, würden mittlerweile kaum mehr Lehrer nach den Sommerferien entlassen, sagt Meidinger.

Lehrerverband: „Arbeitnehmerfeindliche Regelungen“

Er hält die Sommerarbeitslosigkeit bei Lehrern aber generell für unzumutbar, spricht von „Ausbeutung“ und „arbeitnehmerfeindlichen Regelungen“. Gerade bei jungen Lehrkräften seien die großen Ferien die einzige Zeit im Jahr, die wirklich der Erholung diene. In allen anderen Ferien stünden meist Korrekturen oder Vorbereitungen an. „Zumal die Gefahr ist, dass junge Lehrer sich nach kürzester Zeit umorientieren und in die freie Wirtschaft wechseln“, sagt er.

So könnte es auch bei Katarina S. kommen. Sie weiß noch nicht, wie es im nächsten Schuljahr weitergeht. Aber einen weiteren befristeten Vertrag wird sie nicht unterschreiben. Sollte es auch dieses Jahr nicht mit einer unbefristeten Festanstellung klappen, wird sie den Schuldienst quittieren. „Mit Mitte dreißig brauche ich eine Sicherheit im Leben, vielleicht will ich eine Familie gründen, ein Auto oder ein Haus kaufen. Das geht nicht, wenn man immer nur bis zum Ende des Jahres planen kann.“

(* Name von der Redaktion geändert)

Textquelle: Sandra Stalinski, tagesschau.de